Es hat sich viel getan im Leben von Andrea Henkel seit ihrem Karriereende im Frühjahr 2014. Sie hat geheiratet, heißt nun Burke (nach ihrem langjährigen Lebensgefährten und Ehemann Tim) und ist ausgewandert. Aus einer der erfolgreichsten deutschen Biathletinnen der Geschichte ist eine motivierte amerikanische Fitnesstrainerin geworden. Und was ist geblieben? Die Liebe zum Biathlon.
Eine Geschichte über die Leidenschaft zum Biathlon und von einer, die diesen Sport jahrelang geprägt und mitgestaltet hat.
Was wohl aus Andrea Henkel geworden wäre, wenn sie nicht im Alter von 12 Jahren mehr oder weniger von heute auf morgen von der Langläuferin zur Biathletin „umgeschult“ worden wäre? Vielleicht würden wir sie heute als eine berühmte Sängerin kennen? Oder hätte sie doch eine ganz andere Richtung eingeschlagen? Eines ist sicher, sie hätte vermutlich nie gelernt, so souverän zu schießen und schnell auf der Loipe unterwegs zu sein, wie sie es Zeit ihrer Karriere war. „Biathlon war mein Leben“ – ein Satz, der das beschreibt, was Henkel von klein auf begleitet hat. Ein Leben für den Sport, mit vielen Höhen und auch manchen Tiefen, aber vor allem gekrönt von Erfolg.
Die heute 40-Jährige blickt auf eine erfüllte Karriere zurück. Richtig begonnen hat diese im Jahr 1995 bei ihrem ersten Weltcupeinsatz im norwegischen Lillehammer. Die damals 17-jährige Schülerin des Sportgymnasiums Oberhof wurde im Sprint auf Anhieb 20. – ein Erfolg. Dennoch dauerte es noch drei weitere Jahre, bis sie sich endgültig einen Platz im Weltcupteam erkämpfte und sich dort festbiss. Fast 16 Jahre lang lief Henkel daraufhin in der Eliteklasse des Biathlons, bis sie sich nach einem emotionalen Rennen am Osloer Holmenkollen im März 2014 aus dem Profisport verabschiedete – mit Krönchen und Sektglas im Zielraum der Strecke.
Sie wurde gefeiert wie eine Königin und gebührend für ihre Erfolge gewürdigt: Vier olympische Medaillen hat sie im Laufe ihrer Karriere gewonnen, davon zweimal Gold und je einmal Silber und Bronze. 16 WM-Medaillen in den verschiedensten Disziplinen hat sie geholt, was ihr als erste Biathletin überhaupt gelang, und 46 Weltcupsiege (davon 22 Einzelsiege) eingefahren. Zudem konnte sie in der Saison 2006/2007 den Gesamtweltcup für sich entscheiden und auch die Disziplinwertung des Einzels gewinnen.
All diese Erfolge kann Andrea Henkel heute ihr Eigen nennen; doch konnte sie das während ihrer Karriere, in der sich Termin an Termin reihte, überhaupt genießen? Wie anstrengend ist es tatsächlich, das Leben für den Biathlon-Sport? Wir haben nachgefragt und eine sehr ehrliche Antwort von Andrea bekommen:
„Ich war oft nach einem Erfolg schon wieder dabei zu überlegen, was als nächstes kommt, sodass ich diesen manchmal gar nicht so wahrgenommen habe, wie ich es hätte tun können und sollen. Unserer Mannschaft von damals wurde regelmäßig gesagt, dass möglichst in jedem Wettkampf eine auf dem Podium stehen muss. Ich konnte mich nicht einmal freuen über den Satz „Eine muss durchkommen“, wenn ich selber diejenige war, die es geschafft hatte. Auf diese Weise ist ein Podiumsplatz nichts mehr ganz Tolles, sondern Sollerfüllung. Wenn ich jetzt zurückdenke, kommt mir spontan in den Sinn, dass dieser Umstand zum einen etwas schade war. Allerdings bin ich auch sehr froh mit so vielen Podiumsläuferinnen in der Mannschaft gelaufen zu sein. Dieser Umstand war auch sehr hilfreich ein Leistungsniveau zu erreichen, mit dem ich über mehrere Jahre an der Weltspitze laufen konnte. Ich bin also auch sehr dankbar, dass ich mich immer wieder auf hohem Level beweisen und qualifizieren musste und inzwischen erkenne ich nun auch, dass meine Erfolge nicht nur unter „Sollerfüllung“ laufen“, sagt sie selbst. Spaß gemacht hat ihr das Leben als Biathletin auf jeden Fall trotzdem, denn der Sport hat einen besonderen Reiz: „Ich fand und finde immer noch super, dass sich beim Biathlon von einer Runde auf die andere alles ändern kann, von einem Tag auf den anderen. In meiner letzten Saison war meine Spanne Platz 1 bis 55. In welcher anderen Sportart findet man das? Ich hatte einmal ein Rennen, bei dem ich 5 Fehler stehend schoss und den Wettkampf am nächsten Tag gewinnen konnte. Diese Möglichkeiten in beide Richtungen machen den Sport so besonders und spannend, nicht nur für die Zuschauer.“
Diese Worte sprechen von der Begeisterung zum Biathlon, die Henkel heute noch begleitet, wenn auch sie sich verändert hat, wie sie selbst sagt: „Inzwischen ist es eine andere Begeisterung. Als Aktive war ich 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche, Biathletin. So ist es jetzt natürlich nicht mehr. Allerdings bin ich durch Tim irgendwie immer noch täglich mit Biathlon konfrontiert, was auch sehr schön ist. Und ich bin auf eine ganz andere Weise mit dem Sport ‚verbunden‘. Ich finde diesen Sport einfach super und ich bin beeindruckt, dass die Begeisterung dafür nach wie vor wächst.“
Womit sie vollkommen Recht hat. In Zeiten der Erfolge von Dahlmeier und Co. wächst das Publikum stetig an, die TV-Einschaltquoten explodieren förmlich. Wer heute Biathlet wird, ist von Beginn an einem breiten Zuschauerspektrum und einem hohen Druck ausgesetzt. Es ist ein anderes Erleben des Sports als Henkel es zu Anfang ihrer Karriere kennenlernte. Damals war der Biathlon-Sport noch in der Aufbau-Phase, viele der heute etablierten Disziplinen gab es noch gar nicht, der Frauen-Biathlon entwickelte sich erst Schritt für Schritt und wurde populär. Andrea Henkel hat diese Entwicklung miterlebt und in ihrer Karriere viele tolle Erlebnisse und Erfahrungen gesammelt. Außerdem ist sie nach eigenen Aussagen „vielen tollen Menschen“ begegnet und hat die Biathlon-Familie erlebt. Einige ihrer Erfahrungen wird sie nun sicherlich als Personal Coach an andere Menschen weitergeben können und ihnen helfen „ein gesundes und aktives Leben zu führen“.
Was Andrea Burke in Zukunft erwarten wird, weit weg von Deutschland im eigenen Heim in Lake Placid, mit Ehemann Tim Burke, bleibt spannend. Es wird ein ruhigeres Leben sein, mit weniger Reisestress und anderen Themen als Biathlon. Und doch war der Sport ein Teil ihres Lebens, von dem sie viel profitiert und dank welchem sie einiges erlebt hat: „Ich habe keine Ahnung wie mein Leben ohne Biathlon ausgesehen hätte, es interessiert mich allerdings auch gar nicht, da ich es nicht tauschen wollen würde.“
MEDAILLENSPIEGEL | |||
Olympische Medaillen | 2x Gold | 1x Silber | 1x Bronze |
WM-Medaillen | 8x Gold | 6x Silber | 2x Bronze |
WELTCUPBILANZ | |||
Gesamtweltcup | 1. (2006/07) 2. (2010/11) 3. (2007/08, 2012/13) | ||
Einzelweltcup | 1. (2006/07) | ||
Sprintweltcup | 3. (2006/07) | ||
Verfolgungsweltcup | 2. (2007/08, 2010/11, 2012/13) | ||
Massenstartweltcup | 3. (2009/10) | ||
PODIUMSPLATZIERUNGEN | 1. | 2. | 3. |
Einzel | 4 | 4 | 2 |
Sprint | 5 | 9 | 6 |
Verfolgung | 8 | 4 | 7 |
Massenstart | 5 | 3 | 2 |
Staffel | 24 | 18 | 5 |